Kaufhof für alle – Offener Brief zu aktuellen Entwicklungen in Offenbach

Dass wir in einer Zeit der Krisen leben, müssen wir wohl keinem mehr erzählen: Die Auswirkungen, die der neoliberale Kapitalismus auf die Menschen hat, spürt jede*r am eigenen Leib. Corona, die starke Inflation und der russische Angriffskrieg geben das ihrige dazu. Die bundesweite Streikwelle hat gezeigt, dass viele Leute mit ihrem Auskommen zu kämpfen haben. Die Löhne reichen nur knapp für die zu hohe Miete, an Urlaub oder beim Einkaufen muss gespart werden. 

Dahinter steht Programm und Offenbach ist dabei keine Ausnahme. Infolge des „Strukturwandels“ wurden die Städte neoliberal umstrukturiert und zu Spielwiesen marktwirtschaftlicher Interessen. Der Ausverkauf städtischer Liegenschaften zur „Haushaltssanierung“, der Rückzug aus der Versorgung mit bezahlbarem und sozialem Wohnraum oder die aus der Not geborene Vermarktung als „Creative City“ oder „Arrival City“ sind nur wenige Beispiele des stadtpolitischen Versagens in der dreckigen Schwester Frankfurts. Die wenigen Lichtblicke wie das Multiversum wurden allenfalls toleriert und mussten marktwirtschaftlichen Interessen weichen.    

Doch wir wollen an dieser Stelle gar nicht eine Abhandlung über die politischen Missstände und bisherigen Verfehlungen verfassen. Unser Augenmerk soll vielmehr auf den wenigen, aber teilweise eben aus genau diesen Entwicklungen entstandenen utopischen Potentiale liegen: den Räumen dieser Stadt. Auf das Isenburger Schloss, auf den Hauptbahnhof und das alte Stellwerk, auf den Rathauspavillon und Galeria Kaufhof.  

All diese Gebäude stehen leer oder blicken einer unklaren Zukunft entgegen. Ein Konzept wiederum ist für sie oft noch nicht ersichtlich. Das ehemalige Kaufhof-Gebäude hat die Stadt gekauft und möchte es in eine “Station Mitte” umfunktionieren. Der Hauptbahnhof soll neuen, zivilgesellschaftlichen Nutzungen zugeführt werden, direkt daneben soll mit dem Stellwerk ein soziokultureller “Lichtblick” entstehen.

Die Realität: Der Hauptbahnhof steht seit 10 Jahren leer, verfällt zusehends und die gepriesene Machbarkeitsstudie scheint in der Schublade zu verschwinden. Was wohl dem Kaufhof droht? Wieviel bleibt übrig von den hehren Zielen?

Zuletzt ließ sich die Stadt die Sanierung des Rathauspavillons für gut 3,8 Millionen Euro beschließen. Das Ziel ist ein sogenannter “Multispace”, für den ein Betriebsmodell noch gefunden werden muss. Die heutigen Nutzer*innen müssen raus, sie haben ihren Zweck der Inwertsetzung durch Zwischennutzung erfüllt und dürfen neue Bleiben suchen.  

All diese Orte könnten so viel mehr bieten. Deshalb lasst uns reden über das gute Leben für alle, über bezahlbaren Wohnraum, über selbstverwaltete und offene Räume, über kostenlose soziale Leistungen & Infrastruktur unabhängig von Pass, Geschlecht oder Status, über niedrigschwelligen Zugang zu gesundheitlicher und medizinischer Versorgung, über kostenlosen ÖPNV, Kaffee für nen Euro, über Räume ohne Konsumzwang und für politische Praxis.  

Denn wir haben Forderungen und Vorstellungen, die im städtischen Raum verwirklicht werden sollen und werden die Prozesse der „Umnutzungen“ deshalb kritisch begleiten. Für die “Station Mitte” fordern wir, dass den in der Machbarkeitsstudie skizzierten Zielen nicht nur Rechenschaft getragen wird, sondern sie tatsächlich einen Raum ohne Zugangsbeschränkungen darstellt und barrierearm für die gesamte Stadtgesellschaft zugänglich ist. Es soll ein Ort sein, der ohne Anmeldung, Ausweispflicht oder sonstigen Berechtigungsnachweis funktioniert.  

Ein Ort, in dem sich die Menschen gerne aufhalten, an dem sie nicht das Gefühl haben, dass sie nur willkommen sind, wenn sie sich den nächsten Kaffee bestellen, aber wenn sie Lust haben, sie sich einen Kaffee auch noch leisten können. 

Wir wünschen uns nicht nur für Galeria, sondern für ganz Offenbach Orte, an dem Menschen niedrigschwellige soziale Unterstützung bekommen können, beispielsweise Gesundheitsversorgung. Denn nicht alle Personen haben freien Zugang zu medizinischen und psychologischen Leistungen, brauchen sie aber dennoch. Es bedarf auch einer Stelle, die beim Beantragen staatlicher Leistungen unterstützt. Trotz Berechtigung ist dieser Prozess für viele nämlich meist zu kompliziert. Wir wünschen uns eine feministische Beratungsstelle und ein feministisches Café, in dem sich FLINTA* austauschen, vernetzen und in Krisensituationen Unterstützung bekommen können.

Gerade solche Orte fehlen in der Offenbacher Innenstadt, gerade solchen Orten könnte Raum geboten werden. Statt die nächste langweilige konsumorientierte Innenstadt zu planen, ist es möglich, die Sorgearbeit, die für uns alle lebensnotwendig ist, in den Mittelpunkt zu stellen.  

Wir fordern darüber eine offene politische, soziale und städteplanerische Diskussion in der Stadt und werden uns an dieser aktiv und zu gegebenen Zeit beteiligen. Wir wollen keine Brotkrumen, wir wollen die ganze Bäckerei: Das gute Leben für Alle! 

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